Spazieren gehen

Sparziergang durch die Natur oder "ja aber warum reitest du denn nicht?"
Die Mädels an meinem Stall sind das schon gewohnt, der Dackel läuft voraus und Mexx und ich trotten hinterher. So geht es ab in den Busch. Zu Fuß! Ja aber wieso denn das? Pferde sind doch zum Reiten da!

Ganz klares Nein! Pferderücken sind nicht dazu gemacht, um uns zu tragen!

Das Pferd wurde von uns Menschen zu einem Reittier gemacht. Leider findet man wenig Informationen darüber, wer die ersten Pferde zähmte, ritt oder gezielt gezüchtet hat.  Knochenfunde aus der Steinzeit deuten darauf hin, dass Pferde schon rund 30 000 Jahre v. Chr. als Haustiere gehalten wurden.  Es ist aber wahrscheinlich, dass die Menschen das Pferd zunächst gar nicht als Reittier hielten, sondern als Fleischlieferanten. Erst sehr viel später kamen sie auf die Idee, ihre Pferde Lasten ziehen zu lassen und auf den Rücken der großen Tiere zu klettern.

Heutzutage sieht das natürlich ganz anders aus, die meisten Menschen halten Pferde, um ihre Freizeit angenehmer zu gestalten. Egal ob man es aus Sportgründen macht, um sich auf Turnieren zu messen, ob man Freizeitreiter ist, ob man sein Hobby zum Beruf macht und Pferde züchtet und damit im besten Falle noch Geld verdient, oder ob man einfach nur seinen Garten mit Pferden bestückt, um den Rasen flach zu halten (wobei es dafür wesentlich geeignetere Tiere gibt).
Viele Reiter gehen davon aus, dass es das Selbstverständlichste ist, dass das Fluchttier Pferd ein Raubtier (wie wir es sind) von seinem Rücken aus lenken lassen. Ich bin der Meinung, dass jeder gute Pferdemensch / Reiter sich mindestens einmal im Leben die Frage gestellt haben sollte, ob das mit dem Reiten den wirklich so eine gute Idee ist. Selbst die "Tierschutzorganisation" PeTA hat das Reitverbot schon öffentlich gefordert. Kann man zu stehen, wie man mag. Ich hingegen sehe es so, das Pferd bekommt von mir Sicherheit, es muss sich keine Sorgen um eventuelle Löwen- oder Wolfsangriffe machen. Zudem bekommt es regelmäßig Futter (im Bestfalle - und geschieht das mal nicht, sollte PeTA sich einmischen ;-) ) von mir und hat ein Dach über dem Kopf. Zudem wird in den meisten Fällen noch eine medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Das bedeutet, dass das eigene Pferd sich um seine Lebenshaltungskosten nicht kümmern muss. Dafür springt es mit uns zusammen über Hindernisse, gebährt Fohlen, zieht Kutschen für uns und erledigt viele weitere Dinge.
Man könnte es als Deal betiteln. Doof nur, das Pferd ist aufgrund fehlender Stimmbänder nicht in der Lage sind, uns zu sagen, ob der Deal auch so in seinem Sinne ist. Zumindest nicht in unserer Sprache. (Schon wieder ein Grund, die Pferdesprache zu erlernen, siehe Blog zuvor)

Horsemanship
Daher kam bei mir sehr früh der Gedanke auf, ob es wirklich richtig ist, mein Pferd jeden Tag zu reiten. Meine Erkenntnis kam recht schnell und einfach. Nein, mein Pferd muss mich nicht jeden Tag tragen.
Ich begann recht früh mit Mexx im Wald spazieren zu gehen. Zugegeben, entstand diese Idee meiner Familie zu Liebe, die damals gerne mit Mexx, Toni und mir durch den Wald spaziert ist. Am liebsten sonntags bei gutem Wetter. Wäre ich da geritten, hätten wir ein anderes Tempo als meine Tante und meine Mutter gehabt. So entdeckte ich, dass Mexx es echt gern so mochte. Er war immer voll dabei, seine Ohren waren immer bei uns und es kam im Wald nie das anfängliche Dominanzverhalten raus, was wir vom Sattel aus oft hatten. Er wurde so quasi zu einem großen Hund. Wir kletterten über Stock und Stein und er war immer ansprechbar und achtsam. Wir haben fast jeden Tag neue Wege im Wald entdeckt. Zugegeben und nicht zum Nachmachen empfohlen: ein paar dieser Pfade waren nicht für Pferde gestattet und auch nicht leicht zu erklimmen. Aber das war das Risiko, welches wir liebten. Ganz anders, als wenn ich auf seinem Rücken saß. Ich fing an im Wald zu Fuß zu trainieren. Ich schickte ihm am langen Seil, enge Pfade voraus. Lehrte ihn, auf Stimme stehen zu bleiben, konnte ihn Rückwärts richten. Das Führen meinerseits von beiden Seiten, einfach mal stehenbleiben und innehalten. Unsere Bindung wurde immer enger. Ich hatte damals zum ersten Mal das Gefühl, dass mein Pferd es liebte, mit mir Zeit zu teilen und spannende Dinge zu erleben. Diese Spaziergänge haben wir nie abgelegt. Wir gehen noch heute regelmäßig zu Fuß in den Wald.

Das schöne für mich dabei ist, dass ich entdeckte, was Psychologen heute bestätigen können:

-Die heilenden Effekte des Waldes (siehe „Der Biophilia Effekt“)
- Die verbesserte Verbindung beider Gehirnhälften durch das wechselseitige Vorsetzen der Beine und damit einhergehend die bessere Verarbeitung von Gedanken & Gefühlen
- Die meditative Wirkung des Gehens und dadurch die Möglichkeit, die Sinne, die innere Haltung und die Achtsamkeit zu schärfen. (Wichtige Führungskompetenzen, welche die Beziehung zu unserem Pferd deutlich verbessern können.)
 - Die gesundheitsverbessernde Wirkung des Gehens
- Konditionsaufbau, sowie beim Pferd als auch bei mir (!!!)

Ich fühlte mich noch heute nach jedem Spaziergang körperlich und geistig fitter. Erholt und ausgeglichen. Diesen Effekt hole ich mir natürlich regelmäßig ab, wenn ich gestresst bin, Sorgen habe oder meine Laune am Tiefpunkt ist. Und ganz nebenbei konnte ich meine Führungsqualitäten verbessern, indem ich einfach auf folgende Dinge achtete:

- Vorweg gehen (ist die Beziehung irgendwann gefestigt, ist die Position meist egal)
- Strick immer durchhängen lassen, sodass Mexx mir ohne Druck folgt
- Den Weg vorgeben / genau wissen, wo es lang gehen soll, in welchem Tempo, auf welcher Stelle des Weges usw.
- Das Pferd auf Wichtiges aufmerksam machen
- Neue / Aufregende Dinge zeigen (erst selbst anschauen, abklopfen etc., Pferd bleibt im Abstand zum Objekt stehen, dann Pferd heranholen und Gegenstand zeigen, Loben, weiter)
- Augen nicht auf das Pferd richten, sondern auf die Umgebung (aber immer fühlen / hören, wo sich das Pferd befindet und was es macht)
- Darauf achten, dass die Aufmerksamkeit des Pferdes immer bei einem ist (zumindest ein Ohr)
- „Heiklen Untergrund“ üben
 - und so weiter

Also, zurück zum Ausgangspunkt - wer hat eigentlich gesagt, dass Pferdebesitzer alle Reiter sind? Ich kann da nur von mir und Mexx sprechen, wir sind ein Arrangement eingegangen, er trägt mich heile und sicher durch die Welt, wenn ich seinen Rücken benutze und erlebe von da oben aus, Momente welche dem Fliegen ähneln und sehr wertvoll sind. Zugegeben, ich liebe diese Momente genauso wie alle Pferdemenschen, denke ich, aber ebenso habe ich es lieben gelernt, mit meinem Pferd vom Boden aus die Welt zu entdecken.

Wenn man sich den Blog so durchliest, könnte man meinen, dass ich eine ANTI- Reiterin bin. Das ist natürlich nicht der Fall. Der Kauf von Mexx diente natürlich der Befriedigung meiner Leidenschaft - Dem Reiten. Aber ich versteife mich nicht so sehr darauf.
Für mich ist es in Ordnung, wenn ich als Mensch auch mal getragen werden möchte. Aber dann doch bitte im Team. Ich biete meinem Pferd ein Dach über dem Kopf, eine artgerechte Haltung und Futter. Ich achte darauf – sorry aber auch das muss mal angesprochen werden – dass ich nicht dick werde, damit mein Pferd möglichst wenig tragen muss. Ebenso achte ich auf vernünftig sitzendes und passendes Equipment wie den Sattel und lasse mein Pferd regelmäßig, auch ohne Befunde, vom Physiotherapeuten checken.
Pferde (und damit meine ich Alle, nicht nur Mexxi) haben Gefühle und Emotionen, eigene Ideen, körperliche gute oder schlechte Voraussetzungen und man sollte seinen Alltag mit seinem Pferd so gestalten, sodass alle etwas davon haben. Abwechselung ist da das Zauberwort.
Wie viele Pferde gibt es da draußen, die nur geritten werden. Die nie etwas anderes sehen als die Halle und nie etwas anderes lernen als Galopp, Schritt und Trab und ein "bisschen" Springen oder Dressur. Die Mischung sollte da doch das Ziel sein.

Also raus in den Busch, tut etwas für eure Kondition und die eures Pferdes.
Genießt die tollen Aussichten, atmet frische Luft und haltet an schönen Orten einfach mal inne.
Euer Pferd wird es euch danken und in Form von Vertrauen wieder geben.

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